Donnerstag, 12. September 2019 | 20:00 Uhr

Evelyn Grill • Der Begabte

Zur Autorin:

Evelyn Grill geboren 1942 in Garsten, Oberösterreich, lebt als freie Schriftstellerin in Freiburg im Breisgau, seit 2017 wieder in Linz. 2017 erhielt sie den OÖ-Landeskulturpreis für Literatur. Bei Residenz erschienen: „Vanitas oder Hofstätters Begierden“ (2005, nominiert für den Deutschen Buchpreis), „Der Sammler“ (2006, mit dem Otto-Stoessl-Preis ausgezeichnet), „Wilma“ (Neuauflage 2007), „Das römische Licht“ (2008), „Das Antwerpener Testament“ (2011), „Der Sohn des Knochenzählers“(2013) und zuletzt "Der Begabte" (2019).

Rezensionen:

Der „kleine Mozart“ als Oma-Mörder: „Der Begabte“ von Evelyn Grill Wien (APA) - Er hatte zu den größten Hoffnungen Anlass gegeben. Man nannte ihn den „kleinen Mozart“ oder den „jungen Mozart“. Mit seinem Orgelspiel verzauberte er ein ganzes Städtchen. Doch nun sitzt der neunzehneinhalbjährige Wolfgang Eder in einer Einzelzelle und versteht die Welt nicht mehr. Das ist der Ausgangspunkt von Evelyn Grills neuem Buch „Der Begabte“, das morgen, Dienstag, in Wien vorgestellt wird. Evelyn Grill, geboren 1942 in Oberösterreich und nach vielen Jahren in Freiburg im Breisgau seit kurzem wieder in Linz lebend, ist eine Meisterin des Morbiden. Und auch in ihrem neuen Text wird wieder das Dunkle und Düstere im Menschen ans Licht geholt. Doch bei allem Verständnis für verkaufsfördernde Genre-Bezeichnungen: „Der Begabte“ ist kein Roman. Die 140-seitige Erzählung, zur Gänze mit Blick auf die Innenwelt des jungen U-Häftlings verfasst, der nur noch beim Hofgang, bei kurzen Kontakten mit Justizwachebeamten und wenigen Besuchen seines Pflichtverteidigers mit anderen Menschen zu tun bekommt, hat viel mehr Merkmale einer klassischen Novelle. Wolferl, dem Gerichtsgutachter attestieren, nur in seiner Musikalität reif zu sein, ansonsten aber in der Pubertät oder gar im Kindheitsstadium stecken geblieben zu sein, hadert also mit dem Schicksal. Geschickt hält Grill mit jenen Informationen zu Tat und Tathergang zurück, die der Verlag dennoch im Klappentext verrät. Noch vor jenen Dingen, die ihn vor Gericht gebracht haben, kommen ihm in den vielen einsamen Stunden im Gefängnis die prägenden Ereignisse seines Lebens in Erinnerung. Überlebensgroß wird da die Figur des Großvaters, der durch Adoption sogar auch in rechtlicher Hinsicht die Vaterrolle bei ihm einnahm. Der von allen geachtete Oberschulrat, angesehener noch als der Bürgermeister und ein rechter Weiberheld, hatte das Talent seines Enkel-Sohnes früh erkannt und förderte es mit strenger Hand. Dem selbstgerechten Treiben des alten Herrn stand nur die Oma als Spielverderberin im Weg. Gespenstische Szenen kommen dem jungen Mann ins Gedächtnis, die sich ihm erst allmählich erschlossen, als ihm klar wurde, welche Rolle ihm selbst zugedacht war in einem teuflischen Plan mit einem Ziel: „Die Oma muss weg“. Der Plan war jedoch nicht gut genug. Opa und Enkel wurden verhaftet. Doch dass der Opa jetzt alles ableugnet, kann sein Erfüllungsgehilfe gar nicht verstehen. „Sie waren doch ein Herz und eine Seele.“ Jetzt bleibt dem „kleinen Mozart“, der mörderisch manipuliert wurde, nur noch die Hoffnung, dass er im Gefängnis Zugang zu einem Klavier bekommt, um zumindest gelegentlich üben zu können. „Sonst werde ich verrückt.“ (APA) Was ist das, was in uns mordet? Evelyn Grills Roman "Der Begabte" bezieht sich auf einen tatsächlichen Mord, der vor sieben Jahren in Taufkirchen/Pram passiert ist Der Stoff zu Evelyn Grills neuem Roman "Der Begabte" kommt aus der blutigen Wirklichkeit. Vor sieben Jahren ermordete der damals 19-jährige Schüler Lukas Sch. aus Taufkirchen an der Pram, ein hochbegabter Musiker, seine Großmutter. Als Motiv gab er an, er sei von seinem geliebten und verehrten Großvater, einer Art "Dorfkaiser", dazu angestiftet worden. Der Großvater bestritt zwar diesen Vorwurf, aber zu vieles sprach gegen ihn. Er wurde letztlich zu 18 Jahren Haft verurteilt, der Enkel bekam zwölf Jahre. Evelyn Grill hat sich sehr genau mit diesem Verbrechen beschäftigt, dennoch ist es nicht angebracht, ihren Text wie eine journalistische Reportage zu lesen und zu diskutieren. Wir haben es mit einem Roman zu tun, und zwar mit einem ziemlich guten. Der konkrete Vorfall wird im literarischen Text zum fiktiv gestalteten Fall. Konsequent bezieht die Autorin die subjektive Perspektive des jugendlichen Täters ein und imaginiert, was in seinem Kopf nach der ersten Verhandlung vorgehen könnte. Noch arbeitet die zerstörte Normalität, die Zeit vor der Tat in ihm weiter. Immer wieder macht er sich Sorgen um seine Laufbahn als Pianist und Organist. In Alpträumen und Augenblicken endloser Einsamkeit brechen Furcht und Schrecken über ihn herein. Angesichts des Abgrunds, in den er auch aus eigener Schuld gestürzt ist, ringt der Mörder um eine neue, eine tragfähige Selbstinterpretation. Zur Gänze kann man das Vorgefallene wahrscheinlich nie verstehen. Das Tragische bleibt bis zu einem gewissen Grad immer numinos. Das wussten schon die alten Griechen, und Georg Büchner ließ seinen Danton rätseln: "Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?" Plausibel wird in Evelyn Grills Roman, wie sehr eine pädagogische Autorität Macht über eine unreife Seele bekommt. Was der Opa sagt, über Musik, über Psychologen und über die Oma, setzt sich alles hartnäckig im Kopf des Enkels fest und gebiert das Ungeheuerliche. Letztlich bestätigt die literarische Version dieses Verbrechens die Sichtweise des Gerichts – und so schließt sich der Kreis zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Hoffentlich wird die Diskussion, die "Der Begabte" zweifellos auslösen wird, sachlich und fair geführt. Fair gegenüber der Autorin, die viel gewagt hat, aber auch gegenüber den Betroffenen. Wie groß ihre Schuld auch sein mag. (OÖ-Nachrichten) Aus einem Leserbrief (zu obigem) in den OÖ-Nachrichten: Sehr geehrter Herr Schacherreiter! Sie fordern Fairness gegenüber der Autorin ein? Fairplay ist aber keine Einbahnstraße. Als älteste Tochter der Ermordeten möchte ich eines klarstellen: Frau Grill hat sich offensichtlich nicht den geringsten Gedanken darüber gemacht, was sie mit ihrem Buch uns engsten, vollkommen schuldlosen Angehörigen, die seit sechs Jahren mit den Folgen einer unfassbaren Familientragödie kämpfen, antut. Sie zerrt grausame Details, die sie laut eigenen Angaben diversen Medienberichten entnommen hat, erneut an die Öffentlichkeit, stellt, wie Sie selbst in Ihrer Rezension sagen, all das Unfassbare neuerlich zur Diskussion, reißt oberflächlich verheilte Wunden wieder auf. Und das, ohne ein einziges Mal Kontakt mit den traumatisierten Angehörigen aufgenommen zu haben. Ist das fair? Elisabeth Aichinger, Taufkirchen Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.03.2019 (zur Rezension von Lerke von Saalfeld ebendort) Makaber, grotesk und hochmusikalisch, also sehr sehr österreichisch ist dieser Roman, den Lerke von Saalfeld atemlos verschlungen hat. Die Autorin schaffe es, aus einer anfänglich beschriebenen Provinzidylle eine präzise Gruselerzählung zu fertigen, die sich vor allem aus falschen Fassaden, Manipulation und Grausamkeit zusammensetzt. "Die Oma muss weg", ist die Parole , die laut Rezensentin durch den Roman tönt und sehr wörtlich gemeint ist: Der Großvater bringt den Enkel - einen begabten Pianisten und Organisten, ein "Wolferl" - dazu, die Oma umzubringen. Aus dessen Gefängnisperpektive ist dieser Roman geschrieben. Saalfeld bewundert die Kunstfertigkeit, den absoluten Mangel an Pathos und Sentimentalität, mit denen Grill dieses düstere Geschehen aus einem tatsächlichen Vorfall herauspräpariert.

Eintritt
Frei