Donnerstag, 20. Oktober 2016 | 20:00 Uhr

Erwin Einzinger

Biographie und Buchveröffentlichungen

1953 geboren in Kirchdorf/Krems 1971 Studium der Anglistik und Germanistik in Salzburg 1977 Trakl-Förderpreis "Lammzungen in Cellophan verpackt" (Gedichte und Fotos) Talent Förderungspreis des Landes Oberösterreich 1983 "Das Erschrecken über die Stille, in der die Wirklichkeit weitermachte" (Gedichte) 1984 Rauriser Literaturpreis 1985 "Kopfschmuck für Mansfield" (Roman) 1988 "Das Ideal und das Leben" (Prosa) 1992 "Blaue Bilder über die Liebe" (Prosa) 1994 "Kleiner Wink in die Richtung, in die jetzt auch das Messer zeigt" (Gedichte) manuskripte-Preis des Landes Steiermark 1995 "Das wilde Brot" (Roman) 1996 Literaturpreis der Salzburger Wirtschaft 2000 Writer in Residence an der Ohio State University in Bowling Green, Ohio, U.S.A. 2002 Landeskulturpreis Oberösterreich 2005 "Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik" (Roman) 2008 "Hunde am Fenster" (Gedichte) - Mondseer Lyrikpreis 2009 "Ein Messer aus Odessa" (Gedichte) 2010 "Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach (Roman) - H.C. Artmann Preis 2013 „Barfuß ins Kino“ 2015 „Ein Kirgisischer Western“ (Roman)

Rezensionen

„Die Kleinstszenen und Kürzestgeschichten leben vom Detailreichtum, lassen sich in der Vorstellung einprägsam abrufen. Dazu kommt eine Unbestimmtheit zeitlicher und räumlicher Art. Ein großer Wurf! Wann bekommt Einzinger den Büchner-Preis?“ (Anton Thuswaldner, Sbg. Nachrichten) „Erwin Einzinger wäscht Gold aus dem Sand im Getriebe des Lebens. Und das ist so wild wie dieser Roman der tausend Fährten, so verrückt wie ein Wetsern, der im Osten spielt.“ (Klappentext) „Einzinger, du Hund, du lässt uns, deine Kollegen, weit hinter dir!“ (Michael Köhlmeier)

ORF – EX LIBRIS Susanne Schaber

Erwin Einzinger, Ein kirgisischer Western, Roman, Jung und Jung „Wenn sich ein Mensch von zu Hause aufmacht und immer weiter geht, kommt er eines Tages an seine eigene Tür zurück“, liest man bei John Mandeville, einem der berühmtesten mittelalterlichen Pilger. Und durch diese Tür, von der Mandeville spricht, tritt der Reisende schließlich bei sich selbst ein, mit einer neuen Sicht auf die Welt im Gepäck. Erwin Einzinger würde Sätzen wie diesen wohl zustimmen. Sein jüngster Roman mit dem Titel „Ein kirgisischer Western“ startet eine Expedition im umfassenden Sinn: Er entwirft das in alle Richtungen ausufernde Panorama einer Reise, die Grenzen aufhebt und zur Selbsterfahrung wird. Der Roman präsentiert sich als ungewöhnliches literarisches Gebilde, das die Vorgaben des Genres sprengt. Einzinger bringt einen Mann auf den Weg, der einen gewaltigen Fußmarsch vor sich hat. Aber nicht auf einem der vielbegangenen, mit rot-weiß-roten Farben und zwei bis dreistelligen Ziffern ausgeschilderten Fernwanderwege, sondern auf einer wenig bekannten Route: Sie soll, ganz gegen die Tradition des Westerns, in den Osten ziehen und über Polen, die Ukraine und Russland nach Kirgisistan laufen, um schließlich das frühere Reich der Mitte zu erreichen. Von einer Reise wie dieser könnte man sicher einiges erzählen. Doch das wäre dem Autor zu wenig. Einzinger hat Größeres vor: Sein Roman wird zu einer Tour de Force durch einen Urwald an Geschichten, Betrachtungen und Begebenheiten, die keinen oder wenig Sinn ergeben und dann wieder einen Hintersinn. Zusammen spiegeln sie die Absurdität und den Wahnsinn unseres Daseins. Die Handlung des Bandes ist nicht so leicht zu fassen. Es gibt den Wanderer, und es gibt eine Unzahl von Wegmarken, denen er folgt – und doch auch wieder nicht. Einzinger schickt gefühlte Hundertschaften von Figuren auf das, was man die Straße des Lebens nennen würde: den Abfallinspizienten, die Volksmusikforscherin und den Magier, die Laborantin, den Musikalienhändler und den Seemann. Einigen von ihnen begegnet man mehrmals, andere haben nur einen Auftritt oder eine kurze Szene. Und die kann alles sein: eine Anekdote, eine Begegnung, eine Verwirrung, die Ahnung jedenfalls von biographischen Unwägbarkeiten und Brüchen, die den Boden der Wirklichkeit so fragil machen. Da sind etwa die beiden Studenten aus Polen, die mit dem Rucksack durch Norwegen trampen und dort das Gefühl des Fremdsein ausloten, oder der Matrose mit seinen dreihundert Kompositionen, von denen nur vier Zeilen brauchbar sind. Oder auch der Pelztierjäger mit seinem unfassbaren Erbe: Er hat seine erkrankte Hündin auf einer einsamen Insel vor Chile zurückgelassen, nicht ahnend, dass sie trächtig war. Ihre Nachkommenschaft hat vor Ort für mächtige Unruhe in der Fauna gesorgt. So wie Chile blitzt auch eine Vielzahl weiterer Orte auf, Venedig, die Beskiden, die Pyrenäen. Und mit ihnen ein Unmenge an Sujets, die sich frei nach Paul Eluard aneinanderreihen: Eine Poesie, so hat der französische Lyriker apodiktisch erklärt, die sich bestimmten Themen versage, sei eine minderwertige Dichtung. Erwin Einzinger, das spürt man schnell, vertritt einen Satz wie diesen mit vollem Herzen. Er selbst betreibt eine Art Goldwäscherei – ein Motiv übrigens, das den Roman durchzieht: Er sucht etwas Funkelndes aus dem grauen Sand zu sieben und damit ans Licht zu bringen, was sonst verborgen bliebe. Einzinger liebt die Dissonanzen, das Banale, das Hinterhältige im scheinbar Alltäglichen. Wer sich auf seinen Western einlässt, muss wissen, dass er sich niemals in Sicherheit wiegen darf. Überall kann ein Abhang lauern, eine plötzliche Sackgasse, eine Attacke auf das eigene Selbstverständnis als Leserin oder Leser. Ab und zu ist ein roter Faden zu entdecken, der dann wieder verschwindet. Besser, man fahndet nicht zu verbissen nach den Linien der Handlung oder nach einer Konstruktion, die den Roman schlüssig zusammenschraubt. Und schon gar nicht nach Antworten auf die ungezählten Fragen, die sich mit der Fülle an Episoden auftun. Es sei erlaubt, das Beobachtungsfeld geringfügig zu erweitern, liest man gleich auf den ersten Seiten des Romans. Ein Satz, der auf die Poetik des Bandes einstimmt: In diesem „Kirgisischen Western“ bekommt man mehr vorgesetzt als anderswo. Und das in eigenwilligem Ton. Ob Mozart, Chopin oder die Stones. Der Autor und die Musik bilden eine enge Allianz. Das Buch wechselt zwischen Dur und Moll, die Sprache ist verspielt, immer wieder einmal dekorativ verschnörkelt und wunderlich abgehoben. Erwin Einzinger spickt seinen Western geradezu mit Anspielungen und Zitaten. Für uns Leserinnen und Leser bedeutet das einen Galopp auf einem ungebändigten Pferd. Es ist ziemlich anstrengend, die Zügel in der Hand zu halten und der Route zu folgen, die der Autor vorgibt. Die Mühen der Ebene sind beträchtlich. Allein die Ausblicke, die sich dann wieder auftun, wecken frische Leseenergien. Und doch wird man sich nach der Lektüre ziemlich entrückt oder auch verwirrt fühlen. Aber warum nicht von Zeit zu Zeit sich selbst ein Rätsel sein, wie Einzinger befindet? Wie also soll man´s angehen, mit einem Buch wie diesem, wie soll man seine Kräfte einteilen für ein so breites Abenteuer? Zu lesen beginnen und nicht mehr aufhören, bis die letzte Seite erreicht ist? Oder aber man genehmigt sich diesen Western in kleinen Dosen. Häppchen für Häppchen, 51 Kapitel wie 51 Exerzitien. Am besten in der Früh genossen, vor dem Aufbruch in den Tag, wenn man sich noch vollends frisch fühlt. Abends könnte einen die Prosa von Erwin Einzinger schlecht einschlafen lassen. Es sei denn, man fürchtet sich nicht vor besonders skurrilen Träumen: In diesem „Kirgisischen Western“ jedenfalls steckt dafür genügend Stoff.

Eintritt
Frei