Donnerstag, 24. Mai 2018 | 20:00 Uhr

Birgit Müller-Wieland: Flugschnee

Zum Buch

Was macht das Glück einer Familie aus? Wenn es - neben vielen Komponenten wie Gesundheit, sicherem Einkommen und dergleichen - gemeinsame Erinnerungen sind, die Zusammenhalt ermöglichen, so denkt Lucy an einem Dezembertag in Berlin an keine glückliche Familie. Ihr Bruder Simon ist verschwunden. Das Nachsinnen über ihn führt sie zu einem früheren Wintertag ins Haus der Großeltern in Hamburg, an dem etwas geschah, das den Kindern verschwiegen wurde. Dieses Schweigen prägte nicht nur die weitere Zukunft, sondern reicht auch in die Generation der Großeltern und Urgroßeltern zurück, welche sich in vielfältig Ungesagtes verstrickten. Von Deutschland über Österreich, Italien und Osteuropa wird das Netz gespannt, das die Figuren mit ihren Lebensgeschichten knüpfen, verlieren, wieder aufnehmen - ein Ringen um die Wahrheiten, die in der Vergangenheit liegen, und das Annehmen der Herausforderungen, welche die Gegenwart bereithält. Schnee und Stein sind in diesem Roman die Materialien, an denen Lucy und ihre Familie scheitern oder wachsen, an denen sie dem Bedrohlichen eine Form abzuringen, dem Zerstörerischen ein „Trotz allem” entgegenzusetzen versuchen. "'Flugschnee' greift anhand von Figuren aus drei Generationen sehr viele Themen mehr oder weniger beiläufig auf, vom fordernden Alltag mit Kindern über Homosexualität bis hin zum Altwerden. Das alles beherrschende Thema ist jedoch die Frage, wie Familien mit ihren 'Leichen im Keller' umgehen, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Es ist die Frage: 'Wenn unsere Vorfahren uns neben dem üblichen Genmaterial auch ihre Verletzungen und Traumata vererben: Was bedeutet das für unsere Leben? Unsere Träume?'" "Flugschnee" wurde auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2017 nominiert!

Zur Autorin

1962 als Birgit Feusthuber in Schwanenstadt/Oberösterreich geboren, aufgewachsen im oberösterreichischen (Seewalchen am Attersee) und steirischen Salzkammergut (Bad Aussee) ab 1980 Studium der Germanistik und Psychologie an der Universität Salzburg 1988/1989 Studienaufenthalt in Rostock und an der Humboldt-Universität in Ostberlin 1989 Promotion bei Prof. Hans Höller- Titel: "Spurensuche weiblich. Über Sprache, Mythos und Erinnerungsvermögen in der "Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss" 1989 - 1998 Vorstandsmitglied der Internationalen Peter-Weiss-Gesellschaft 1990 - 1993 Geschäftsführerin des Dachverbands Salzburger Kulturstätten, Freie Mitarbeiterin bei „Der Standard“ und „Die Presse“, Organisatorin Internationaler Literatursymposien in Verbindung mit der Peter-Weiss-Gesellschaft und dem Germanistischen Institut Salzburg bis 1995 Schreibwerkstätten für Kinder und Jugendliche am Kindertheater TOI-Haus, im Literaturhaus Salzburg und an Schulen sowie sozialen Einrichtungen in Salzburg und Kärnten Redaktionsmitglied des "kunstfehler" Vorstandsmitglied der Arge Kulturgelände Nonntal von 1996 - 2007 freie Schriftstellerin in Berlin seit 1997 verheiratet mit dem Komponisten und Dirigenten Jan Müller-Wieland 2004 Geburt einer Tochter seit 2007 in München 2007/08 Österreichisches Staatsstipendium2009/10 Österreichisches Staatsstipendium 2015/16 Projektstipendium für Literatur des österreichischen Bundeskanzleramtes 2016 Prämie für "besonders gelungene Neuerscheinung" ("Reisen Vergehen") des österr. Bundeskanzleramtes Juni 2017 ORF-Bestenliste “Flugschnee" Details 2017 Longlist Die nominierten Titel für den Deutschen Buchpreis 2017 darunter "Flugschnee"

Rezensionen

„Es gibt keine Gnade der späten Geburt. Mit ihrem Roman ‚Flugschnee‘ verwandelt Birgit Müller-Wieland Zeit- in Familiengeschichte. /…/ (Sie) verfährt mit ihren Lesern freundlicher als der von ihr verehrte Peter Weiss, der von seinen Lesern harte Arbeit erwartet. Ihre Prosa ist von eleganter Art. Harten Stoff breitet sie nahezu anmutig auf.“ Anton Thuswaldner, SN, September 2017 "Ein anspruchsvoller, stilistisch sehr schöner und menschlich berührender Roman. Birgit Müller-Wieland wertet und verurteilt nicht, sie macht uns das verletzende und verletzliche Mängelwesen Mensch etwas verständlicher – und das ist viel!" Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten ...In ihrem Roman „Flugschnee“ erzählt Birgit Müller-Wieland eindrücklich, welche Löcher das Verschwinden in das Leben der Zurückgebliebenen reißen kann (…) Johanna Öttl, Die Presse, Mai 2017 Das Sich-Erinnern ist ein großes Thema bei Birgit Müller-Wieland, davon zeugen die zahlreichen Rückblenden, die den Roman durchziehen. Erinnerungen sind hier jedoch stets etwas Fragiles, Unsicheres Verena Resch, drehpunktkultur.at, Mai 2017 …Es gibt Bücher, die das Leben verändern. Nicht nur ein bisschen, sondern von Grund auf, für immer. Eines dieser Bücher ist „Die Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss. Für die Figur Vera aus dem Roman „Flugschnee“ ist es lebensentscheidend. (…) Flugschnee“ greift anhand von Figuren aus drei Generationen sehr viele Themen mehr oder weniger beiläufig auf, vom fordernden Alltag mit Kindern über Homosexualit&äuml;t bis hin zum Altwerden. Das alles beherrschende Thema ist jedoch die Frage, wie Familien mit ihren „Leichen im Keller" umgehen, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Es ist die Frage: „Wenn unsere Vorfahren uns neben dem üblichen Genmaterial auch ihre Verletzungen und Traumata vererben: Was bedeutet das für unsere Leben? Unsere Träume?“ Diese Frage stellt sich die Berliner Studentin Lucy, Tochter der Bildhauerin Vera. Sie hat gerade einen Artikel über Epigenetik gelesen: „Kann ein Kind sich an das erinnern, was die Eltern vergessen haben?“ Das ist eine Frage, die sie tief bewegt, denn Lucy versucht herauszufinden, warum ihr älterer Bruder Simon spurlos verschwunden ist; warum dieser Bruder schon als Kind von schlimmen Träumen heimgesucht wurde; und warum etwas in ihrer Familie schon immer irgendwie anders war: „Es war etwas zwischen den Erwachsenen, etwas Ungreifbares.“ In „Flugschnee“ jedenfalls wird deutlich, dass die Verstrickungen der Vergangenheit auch Auswirkungen auf die Gegenwart haben. Bereits der Titel deutet es an: Flugschnee ist laut Wikipedia sehr feiner Schnee, der durch das Dach in ein Haus gelangen kann. Im Roman ist denn auch die Rede von etwas Nassem, das ins Familienhaus einsickert, „eine Art feuchte Wut“. Was da vor sich hin schimmelt, wird im Verlauf der spannenden Lektüre erst allmählich sichtbar. Denn die Protagonisten können oder wollen sich nicht erinnern an einen Weihnachtstag vor vielen Jahren, an dem ganz kurz ein Geheimnis gelüftet wurde, das mit Schuld zu tun hat, mit Scham: Die Studentin Lucy war damals noch zu klein, um etwas abzuspeichern. Ihre Großmutter wiederum kann die Vergangenheit nur bruchstückhaft hervorholen: „Jede Erinnerung, die ihr zuflog aus dem Nebel, in das sich ihr Denken zuweilen verirrte, war wertvoll und musste ausgekostet werden. (…) Antje Weber, Süddeutsche Zeitung, Juli 2017 Roman, Erzählung, Lyrik, Hörspiel, Libretto – die gebürtige Oberösterreicherin füllt fast jede Textform mit Leben. GaH, WeiberDiwan, Sommer 2016

Eintritt
Frei